Schola Sagittariana
Teil III: Kantaten und Orgelmusik von Schelle und Kuhnau
Johann Schelle (1648-1701) und Johann Kuhnau (1660-1722) stammen beide aus der erzgebirgischen Stadt Geising und begannen ihre musikalische Laufbahn jeweils als Diskantisten in der Dresdner Hofkapelle. Der zwölf Jahre ältere Schelle wurde durch den Hofkapellmeister Heinrich Schütz (1585-1672) überaus gefördert und erhielt durch dessen Vermittlung zunächst die Möglichkeit in der herzoglichen Kapelle zu Wolfenbüttel zu singen und ab 1665 für zwei Jahre die Leipziger Thomasschule zu besuchen. Anschließend studierte er in Leipzig, wurde Kantor in Eilenburg und schließlich 1677 zum Nachfolger von Sebastian Knüpfer (1633-1676) als Leipziger Thomaskantor gewählt. Sowohl als väterlicher Lehrmeister, als auch durch seinen innovativen Kompositionsstil, erwarb sich Schelle während seiner Amtszeit einen besonderen Ruf. Musikgeschichtlich bedeutend für die Entwicklung der Gattung Kantate sind seine Vertonungen verschiedener Dichtungszyklen. Teilweise verwendet Schelle hier bereits rezitativische Formen. Die zwei vorliegenden Kantaten weisen solche Passagen allerdings nicht auf und lassen sich eher als sogenannte Concerto-Aria-Kantaten definieren. Die von Schelle verwendeten Textgrundlagen von David Elias Heidenreich (1638-1688) aus dem Jahr 1665 umfassen je einen Bibelspruch und eine erläuternde Lieddichtung. Der Bibelspruch steht hier am Beginn und erklingt in Form eines Concertos für Bass, zwei obligate Instrumente, sowie Basso continuo und wird, nach der strophenförmigen Arie - teils mit instrumentalen Ritornellen - wiederholt. Sieben Kantaten in dieser Besetzung sind uns von Schelle überliefert. Anzunehmen ist, dass es einmal einen kompletten Jahrgang solistischer Heidenreich-Vertonungen gegeben hat. Offenbar hat Schelle die Texte sogar zweimal vertont, da uns einige Dichtungen ebenfalls in größer besetzten, sehr festlich anmutenden Vertonungen vorliegen. Da eine der Kantaten auf den seltenen 6. Sonntag nach Epiphanias terminiert ist, ist die Datierung der Musik auf wenige Jahre einzugrenzen, welche alle in den Zeitraum nach Schelles Anstellung in Eilenburg fallen. Eine Aufführung der Werke unter der Beteiligung des besonders begabten Bassisten Johann Christoph Urban (1671-1756) kann im Jahr 1696 vermutet werden. Der Thomasorganist während der Amtszeit Schelles in Leipzig, war ab dem Jahr 1684 Johann Kuhnau. Nach seiner Zeit als Diskantist in Dresden, verbrachte Kuhnau zunächst einige Jahre in Zittau und übernahm dort verschiedene musikalische Ämter. Ab 1682 studierte er in Leipzig Jura und leitete daneben studentische Musikaufführungen. Kuhnau galt als Universalgelehrter und veröffentlichte zeitlebens diverse Sammlungen von Musik für Tasteninstrumente, musiktheoretische Traktate, sowie einige - teils satirische - Romane. Besonders herausstechend ist seine Sammlung »Musicalische Vorstellung einiger biblischer Historien« (Leipzig, 1700), eines der frühesten Beispiele für Programmmusik in der europäischen Musikgeschichte überhaupt. Aber auch Kuhnaus Sonaten, Suiten, Präludien und Fugen erfreuten sich unter seinen Zeitgenossen an großer Beliebtheit. Die klanggewaltige Toccata in A-Dur weist in Form und Anspruch bereits auf den großen Orgelvirtuosen Johann Sebastian Bach (1685-1750) voraus. Als Johann Schelle im Jahr 1701 verstarb, hatte sich Johann Kuhnau in Leipzig bereits einen herausragenden Ruf erarbeitet, sodass der Rat der Stadt ihn ohne großes Zögern unter vier Mitbewerbern als Nachfolger berief. Als neuer Thomaskantor führte er das Kantatenschaffen Schelles, den er überaus schätzte, fort und verfasste eine Trauerschrift auf den Tod seines Amtsvorgängers.
Teil I: Anton Colander (1590-1621): Geistliche Konzerte
Anton Colander wurde am 30. November 1590, als Sohn des Stadtkantors Heinrich Colander, in Weißenfels geboren. Er war Vetter und Jugendfreund von Heinrich Schütz, welcher höchstwahrscheinlich bei Colanders Vater seine erste musikalische Ausbildung erhielt. Ab 1602 besuchte Colander die Fürstenschule zu Schulpforta, auf der zeitgleich auch der spätere Thomaskantor Johann Hermann Schein Schüler gewesen ist, um anschließend an der Leipziger Universität Jura zu studieren. Um 1610 wird er, auf Empfehlung von Heinrich Schütz, Hoforganist in Dresden und erhält gleichzeitig auch Kompositionsunterricht bei Letzterem. Die Orgelwerke von Colander sind uns leider nicht überliefert, was wohl auf die damals improvisatorische Praxis des Orgelspiels zurückzuführen ist. Erhalten haben sich dafür jedoch einige geistliche Konzerte für ein bis vier Singstimmen mit Generalbassbegleitung. Der Sammeldruck, angefertigt in der Werkstatt des Dresdner Buchdruckers, -Händlers und Verlegers Wolfgang Seyffert, wurde erst weit nach Colanders Tod, nämlich im Jahr 1643 veröffentlicht. Dies geschah, wie Seyffert in seiner Vorrede anmerkt, um zu verhindern, dass sich ein anderer „[...] mit diesen schönen und anmuthigen Federn schmücken und also wohlgedachten Conzertlein H. Colanders Namen entfrembden.“ werde.
Teil II: Lieder und Arien von Nauchwach, Albert, Kittel, Löwe und Weckmann
Johann Nauwach diente von 1608 bis 1612 zunächst als Sängerknabe, anschließend von 1616 bis 1629 als Lautenist in der Dresdner Hofkapelle. Zur Erweiterung seiner Fähigkeiten wurde er darüber hinaus nach Italien, zum Studium bei Lorenzo Allegri, an den Fürstenhof in Turin, geschickt. Dort dürfte Nauwach auch der betagte Guilio Caccini begegnet sein, an dessen monodischem Stil sich seine italienischen Arie passeggiate orientieren. Heinrich Schütz muss seinen Schüler überaus geschätzt haben, was er durch Beisteuerung der Komposition »Glück dem Helikon« zu Nauwachs zweiten Druck aus dem Jahr 1627 zum Ausdruck bringt. Eben jener Druck, der »Erste Theil Teütscher Villanellen mit 1., 2. und 3. Stimmen auf die Tiorba, Laute, Clavicymbel, und andere Instrumenta gerichtet« (Dresden, 1627), beinhaltet ein- und zweistimmige Lieder mit Generalbassbegleitung, welche hauptsächlich Texte des Schriftstellers und Dichters Martin Opitz vertonen. Um die damals gerade frisch aufkeimende Gattung des barocken Liedes, haben sich daneben auch die Schütz-Schüler Kaspar Kittel und Johann Jakob Löwe von Eysenach verdingt gemacht. So komponierte und veröffentlichte Kittel, damals genau wie Nauwach Lautenist am Dresdner Hof, ebenfalls virtuose Arien im Stile Caccinis. Der Musikalischen Kürbishütte, einem Königsberger Kreis aus Gelehrten, Schriftstellern, sowie Dichtern, gehörte unter anderen Schütz’ Vetter und Schüler, Heinrich Albert an. Unter dem Titel »Arien und Melodeyen« komponierte und veröffentlichte er ganze acht Drucke, von denen der zweite dem „[...] Fürtrefflichen und Wel=berümbten Musico Hn. HEINRICH SCHÜTZEN […].” gewdimet ist. Berühmt geworden als Komponist und Tastenvirtuose ist auch der Schütz-Schüler und Dresdner Hoforganist Matthias Weckmann, welcher während seiner Anstellung in Hamburg einige wenige Lieder auf Texte des Schriftstellers und Dichters Philipp von Zesen komponierte.